"Es herrscht Krieg auf den Straßen." Der Zwönitzer Eric Meyer findet drastische Worte, wenn es um das Verhältnis von Auto- und Radfahrern auf den Verkehrswegen im Erzgebirge geht.
Jahrelang ist der Inhaber eines Fitnessstudios leidenschaftlich gern Rennrad gefahren. Aber das hat er aufgegeben. "Ich habe dieses Rad vor Kurzem verkauft. Ich bin jetzt meist mit dem Mountainbike unterwegs, weit abseits vom Straßenverkehr im Wald", berichtet er. Denn der Hass der Autofahrer auf die Radler sei groß. Eric Meyer berichtet von Pöbeleien, von Fahrern, die den Scheibenwischer aktivieren, um einem Wasser ins Gesicht zu spritzen. Und er erzählt von jenen, die sich ganz dicht am Radfahrer vorbeischieben.
Dies aber ist verboten. Bislang war beim Überholen von Radfahrern und Fußgängern nur ein "ausreichender Seitenabstand" vorgeschrieben. Das hat der Gesetzgeber nun konkret gemacht. Im Ort gilt ein Abstandsgebot von 1,50 Metern. Außerhalb von Ortschaften sind es sogar zwei Meter.
Eric Meyer glaubt nicht, dass dies viel helfen wird. Teilweise kann er den Frust der Pkw-Fahrer verstehen. Dass sich ein Radfahrer im Berufsverkehr am Freitagnachmittag noch dazwischenschiebe, müsse nicht sein. "Aber am Sonntag, wenn alle ihrer Freizeitbeschäftigung nachgehen, muss es doch möglich sein, sich die Straße zu teilen", so Meyer. Er will abwarten, was die neue Regelung bewirkt. Konkret bedeutet sie nämlich auch, wenn eine Straße lediglich drei oder vier Meter breit ist, hat der Autofahrer eigentlich keine Chance zu überholen.
Im Erzgebirgskreis gibt es mehrere schmale Strecken. Fahrer nennen zum Beispiel die zwischen Sosa und Schwarzenberg, Wege am Fichtelberg oder auch im Preßnitztal bei Jöhstadt. Eine Übersicht dazu liegt im Landratsamt aber nicht vor, wie "Freie Presse" erfuhr. Doch wenn es eng wird, ist die neue gesetzliche Regelung eindeutig. "Sofern die Fahrbahnbreite das Überholen nicht zulässt, muss hinter dem Radfahrer beziehungsweise Fußgänger hergefahren werden", antwortet Katja Gneupel vom Sächsischen Verkehrsministerium auf eine Anfrage. Wer sich nicht daran halte, dem drohe ein Bußgeld von 30 Euro.
Laut Polizeidirektion Chemnitz sind es im Extremfall sogar bis zu 100 Euro sowie ein Punkt in Flensburg. Bislang liegen wegen Verstoßes gegen die Neuregelung keine Anzeigen vor; das Abstandhalten werde aber auch noch nicht konkret kontrolliert. Laut Sprecher Andrzej Rydzik begrüßt die Polizei die neuen Regelungen. Problematisch sei jedoch, dass gezielte Kontrollen zu Verstößen nur schwer vorzunehmen sind. "Es fehlt schlichtweg an geeigneten Messinstrumenten", sagt er. Im Streitfall müsse ja alles gerichtsfest dokumentierbar sein.
Freie Fahrt für Radfahrer gilt mit der neuen Vorschrift aber nur bedingt: Wer nämlich ein langsameres Fahrzeug führt, muss das Tempo an geeigneter Stelle drosseln, notfalls warten, wenn nur so andere Fahrzeuge überholen können. "Radfahrer müssen daher an geeigneter Stelle anhalten, wenn das Überholen nicht möglich ist", so Katja Gneupel vom Ministerium. Ähnliches gelte für Fußgänger. Der entsprechende Paragraf in der Straßenverkehrsordnung sagt aber nichts dazu aus, was "langsam" ist und wie eine "geeignete Stelle" aussieht. Zudem weiß beispielsweise Eric Meyer aus Erfahrung, dass es mit dem Anhalten nicht immer einfach ist. Mitunter tauge der Fahrbahnrand nicht zum Halten. Und bei einer starken Steigung von 18 Prozent - wie vom Preßnitztal aus - sei es fast nicht möglich zu stoppen, weil der Radler dann nicht mehr in Tritt komme.
Für viele Pkw-Fahrer ist überdies nicht immer klar, wie breit eine Straße ist. Die von Autofahrern bei "Freie Presse" als zu schmal angegebene Strecke zwischen Sosa und Schwarzenberg misst etwa 4,50 Meter, ohne Randstreifen. Zumindest mit einem Kleinwagen könnte der Platz zum Überholen theoretisch dort also reichen. Vom Fahrzeug aus lasse sich das aber schlecht einschätzen, sagen Pkw-Fahrer. Bislang existiert kein Verkehrsschild, das deutlich macht: Auf dieser Strecke ist es nicht möglich, Rad- und Mopedfahrer zu überholen. Doch laut sächsischem Verkehrsministerium könnte so ein Schild kommen. Ein erster Entwurf (siehe Foto) zeigt ein Zeichen wie das klassische Überholverbot, aber mit Fahrrad und Motorrad rechts und rotem Pkw links.
Beim Allgemeinen Deutschen Automobilclub (ADAC) gibt es trotz der unklaren Lage bislang kaum Anfragen zum Thema. Sprecher Florian Heuzeroth berichtet, dass man davon ausgehen kann, "dort, wo Gegenverkehr zugelassen ist, reicht die Fahrbahnbreite auch aus, um ein Zweirad zu überholen". Wenn die Straße aber tatsächlich zu schmal ist, "muss das Auto hinterherfahren, egal wie lange das dauert".
Mehr Radwege wären hilfreich, fordern regionale Radvereine. In einigen Städten und Gemeinden im Erzgebirge sind die Verwaltungen aktiv und wollen bauen. An Kreisstraßen ist das, laut Auskunft des Landratsamtes, 2020 nicht vorgesehen. Die Zahl der Unfälle mit Radfahrern im Bereich der Polizeidirektion Chemnitz ist indes vergangenes Jahr gestiegen auf 678 Vorkommnisse. Das waren 74 mehr als 2018. 570 Personen wurden dabei verletzt, fünf Menschen getötet.
July 27, 2020 at 08:15AM
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Abstandsregel: Wenn die Straße zu eng ist - Freie Presse
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